Bühne frei für den unglaublichen Houdini!



Nächster Halt, Spreizbeinchen. Nach der leidenschaftlich futternden dicken Prinzessin heute erneut ein Griff ganz tief in die Mottenkiste. Im Zuge meiner Versuche das Sommerloch ein wenig aufzufüllen, dieses Mal etwas zu einem äußerst heiklen Thema, welches auch immer wieder an mich herangetragen wird. Das schaut auf den Bildern vielleicht lustig aus, wenn ein Welli unbeholfen und tollpatschig versucht sich fortzubewegen, aber die Spreizbeinchenthematik kann, je nach Ausmaß der abgestellten Füßchen, für ein Küken so schlimm enden, dass man sich von einem geliebten Küken für immer verabschieden muss. Denn wenn die ausgekugelten Gelenke unkorrigiert bleiben und die einst weichen Knochen des Küken einmal ausgehärtet sind, kann man den Zwergen mit noch so fortschrittlicher Medizintechnik nicht mehr helfen. Deshalb ist eine rettende Handlung von eminenter Wichtigkeit und es ist ungemein von Vorteil, wenn man für solche Fälle einen vogelkundigen Tierarzt in der Hinterhand hat, der einen gewissenhaft beraten und womöglich im Falle eines Falles das Tier schonend erlösen kann. Das ist super schrecklich, aber die schlimmen Dramen, die ich teilweise von überfordernden Haltern mitbekommen habe, waren überaus betrüblich. Küken mit mehr als nur seicht ausgeprägten Spreizbeinen liegen nur noch zappelnd am Boden und können sich mit ihren Fehlstellungen nicht mal ein kleines Stückchen voranzukommen, geschweige denn auf einer Sitzstange Platz nehmen. Auch Gelegenheitszüchter, unter welche ich mich, wenn es bei meinen Wellensittichen so weitergeht, auch langsam aber sicher schon einreihen kann, suchen in diesen Fällen verzweifelt Rat, weil sie auf meine Seite stoßen. Aber nochmal zum Verständnis. Auch ich mache lange nicht alles richtig und habe viele Jahre besonders durch diverse Rückschläge dazu lernen müssen. Das gehört, wie schon mehrmals von meiner Wenigkeit angemerkt, bei der Wellensittichzucht leider dazu. Aus solchen Fehlschlägen lernt man natürlich, wenn es auch weh tut. Und da ich schon einiges durchgemacht habe und ich gerade zu solch sehr brisanten Themen immer wieder befragt werde, möchte ich hier zumindest ein klein wenig meine Erfahrung einbringen, wenn bei Houdini auch die zeitige Reaktion und sehr viel Glück eine große Rolle gespielt haben. Diverse Erfahrungen muss man im Leben immer in Eigenregie sammeln, doch wenn man von den Themen schon mal etwas gehört hat, kann man vielleicht dementsprechend reagieren und ruhiger bleiben, wenn man sich denn dann überhaupt noch an das ausschweifende Gelaber des Herrn Züchter noch erinnern kann. Deshalb werde ich versuchen mich zu dem Thema kurzzuhalten, nicht dass die Synapsen meiner treuen Leserschaft beim Schmökern dieses Textes schon nach dem ersten Drittel schlapp machen. Also los geht's … denn ich muss ja schließlich auch irgendwie die Zeit strecken, bis es endlich ein paar Küken gibt, natürlich ganz in der Hoffnung, dass es keinem auffällt.



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Die folgende Gegebenheit ereignete sich zu einer Zeit als mein inzwischen gealterter Gentleman Pablo noch mit seinen guten Manieren auf sich aufmerksam machte, er galant den Damen hinterher stiefelte und seine holde Joanna noch zum jungen, gerade so brutbereiten Gemüse gehörte. Während ich von Pablo, durch seine frühere Beziehung zu Bonnie bereits wusste, dass er ein toller Papa ist, hat sich auch Joanna nicht nachsagen lassen wollen, dass sie eine Rabenmutter wäre. Vorgelegt hat hierbei ja auch ihre Mama Liesel, die bis dato eine meiner fürsorglichsten Bruthennen war. Pablo und Joanna haben gut harmoniert und ihre Küken waren sehr aufgeweckte kleine und liebevolle Kerlchen. In einer Brut der Beiden trug es sich jedoch zu, dass sich unter den Küken ein Spreizbeinchen herauskristallisierte. Und während der Herr Züchter hier rein theoretisch auch zu dieser Zeit schon seinen Senf zum Thema Hüftluxation zum Besten gab, hatte es nun auch ihn erwischt, wenn es sich auch um keinen Extremfall handelte. Wie der Vater, so der Sohn ... oder was? Pablo hatte schon ab dem Tag, als ich ihn gekauft hatte ausgeprägte O-Beinchen, das war natürlich kein Grund für mich, den Knödel umgehend zu retournieren, fristete er auch ein sehr tristes Dasein in einer Zoohandlung. Ob sich solch schiefe Beine auch an die Nachkommenschaft vererben oder es sich neben den hausgemachten Problemen um eine reine Laune der Natur handelt, war stets ein Thema für umfassende Diskussionen zumindest zur damaligen Zeit unter meinen ehemaligen Altzüchtern. Und wie das bei meist inhaltslosem Palaver ebenso ist, kam man bei dem Thema weder zu einem Konsens geschweige denn auf einen grünen Zweig.


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Die sogenannten Spreizbeinchen entstehen überwiegend dadurch, dass sich im Nistkasten keine geeignete Nistmulde befindet. Das lässt sich ganz anschaulich erklären, wie die kleinen Küken zu solch krummen Beinchen kommen. Sind die Zwerge alle ausgebrütet, so hockt die Mama selbstverständlich auch weiterhin fleißig auf ihren Steppkes, damit diese den Wirkungsgrad in Sachen Heizleistung der Mama auch gänzlich ausnutzen können. Hat ein Nest keine halbkugelförmige Einbuchtung, welche Nistmulde genannt wird, liegen die Küken quasi auf einer flachen Ebene. Übrigens, die rosafarbene Kriegsbemalung an Joannas Stirn rührte weder daher, dass die Dame einem blutigen Pfad folgte und ihre Küken malträtierte noch handelte es sich hierbei um eine neue Zuchtform Europäischer Pinkgesichter. Die grelle Farbe stammte einzig und allein von einem Mineralstein, welcher vornehmlich das Gefieder von Wellensittichen, die ein helles Federkleid tragen, eine abgedrehte Note verleiht. Joanna weiß schon, dass viel zu viel Einstreu im Nest liegt. Manche Damen räumen das Nest dann selbst aus, bei anderen übernimmt der Herr Züchter diesen Räumdienst. Aber so schaut es aus, wenn man es zu gut mit dem Einstreu meint. Das Einstreu ist zwar wichtig für die Saugwirkung gegenüber den Hinterlassenschaften der kleinen Gierschlunde, füllt man die Mulde jedoch zu weit auf, dann ergibt sich der gleiche Effekt als wäre keine Nistmulde vorhanden. Ohne hier in die grundlegende physikalische Verteilung von Kräften einsteigen zu wollen, wird doch eindeutig klar, dass eine Mulde hinsichtlich der Gewichtsverteilung auf die Küken gegenüber einer planen Fläche erheblich von Vorteil ist. In aller Regel sind Spreizbeinchen also entweder ein menschgemachtes Problem oder wurden durch die Welli-Mama verursacht.


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Sobald man nun Spreizbeinchen unter den eigenen Küken entdeckt sollte man nicht in Panik verfallen und den Zwergen um Himmels Willen auch nicht an den Kragen gehen, indem man ihnen selbst verzweifelt oder missmutig die Gurgel umdreht. Da wiederhole ich mich auch nochmals gerne. Egal ob Spreizbeinchen oder andere Probleme bei den Zwergen, am besten ist es immer sich fachkundigen Rat beim einem Tierarzt einzuholen, der auf dem Gebiet der Ziervögel bewandert ist. Dieser kann von Fall zu Fall auch unterscheiden, ob den Küken durch Bandagen im Falle eines ausgekugelten Gelenks noch geholfen werden kann oder ob die Knirpse durch ein zu fortgeschrittenes Alter mit einer nicht mehr zu korrigierenden Fehlstellung letztendlich überlebensfähig sein werden. Von den teils grotesken Formen solcher Hüftluxationen, die im Volksmund auch Spreizbeine oder Froschbeine genannt werden, kann sich jeder selbst ein Bild machen, indem er eine beliebige Suchmaschine mit diesen Begriffen füttert. Ein Bein nach links, das andere weit nach rechts ausgestreckt und auf dem Bauch herumlümmeln. Wie nun das Küken zu seinen Froschschenkeln gekommen ist, lässt sich in Nachhinein nur noch mutmaßen. Die Nistmulde war da und das Einstreu dezent eingesetzt. Wie anfangs angemerkt besaß Papa Pablo selbst O-Beine, welche ihn aber nie behinderten, sonst hätte auch der zur Kükenaufzucht notwenige vorgelagerte Akt auch nicht zum Erfolg geführt. Zudem litten die anderen Küken auch nicht unter diesem Phänomen. Joanna hat sich derweil als Übermutter erwiesen und lag allzeit wie ein flauschiger dicken Stopfen auf dem Nest. Vielleicht hat sie zu viel Druck auf dieses bestimmte Küken ausgeübt, ein Auskugeln der Hüften kann jedoch auch schnell durch eine weniger zarte Herangehensweise der Eltern bei der Fütterung auftreten. Wie dem auch sei habe ich das Problem rechtzeitig bemerkt, wodurch ich dem Zwerg wie folgt helfen konnte.


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Houdini hält die Welt in Atem … oder zumindest hielt er den Herrn Züchter ganz schön auf Trab. Denn der kleine Unruhegeist war ein Entfesselungskünstler par excellence, kein Wunder also, dass er schnell einen passenden Namen weghatte. Zauberhaft war der kleine Knödel gleich in zweierlei Hinsicht, denn er war nicht nur als flauschiges Küken ungemein goldig, sondern er erstaunte mich auch zu Beginn der Behandlung jeden Tag auf's Neue, wenn er es doch wieder geschafft hatte, sich aus seinen von mir mühselig angebrachten Fußfesseln zu befreien. Houdini arbeitete aber nicht nur mit unbegreiflicher Magie, sondern auch mit schmutzigen Tricks, anders ließen sich seine schmuddeligen Füßchen wohl nicht erklären ... Doch, wenn die Wellensitticheltern zur Aufzucht ihrer Jungen einen recht wässrigen Nahrungsbrei serviert bekommen und diesen an ihre Küken weitergeben, muss das aufgenommene Wasser schließlich auch wieder aus den Nestlingen heraus. Das schaut manchmal überaus unappetitlich aus, weshalb ich dazu übergegangen bin, den Wellensittichen das Aufzuchtfutter nur noch mit einem Minimum an Feuchtigkeit zu reichen. So bleiben das Nest und vor allem die Küken recht sauber. Ein Wollfaden … super easy … Simsalabim … schon wieder weggezaubert … Und der Herr Züchter kann nur noch doof aus der Wäsche schauen und an der Verfassung seines gequälten Geistes zweifeln. Ob der Knödel nun wahrlich ein Meister darin war, sich aus seinen Fesseln gekonnt befreien zu können oder ob es vielleicht auch nur an den grottenschlechten Fesseltechniken des Herrn Züchters lag ... nun, das bleibt wohl auf ewig das Geheimnis des kleinen Herrn. Genauso gut konnte es sein, dass der Mini-Houdini gar fies geschummelt hatte und seine unbegreiflichen Befreiungsaktionen gar nicht auf wundersamer Zauberei beruhten, sondern diese einzig und allein dem kräftigen Schnabel seiner lieben Mama Joanna zuzuschreiben war, der dem Dreikäsehoch tatkräftige Unterstützung bot. Nachdem ich seine unerklärlichen Tricksereien durchschaut habe, musste ich von nun an mit härteren Bandagen mit Hilfe eines stabilen Nylonfadens ans Werk gehen und schließlich hatte er es auch nicht mehr geschafft, sich aus seiner für ihn misslichen Lage zu befreien. Vorbei war es also mit seinem Nebenjob als überwiegend nackiger Illusionist und seinen waghalsigen Vorstellungen. Bei Houdini hatte ich gerade noch den richtigen Zeitpunkt erwischt, um diese, wenn auch gering ausgeprägte Fehlstellung, ohne Nachwehen beheben zu können. Weitere solcher kleinen Zauberkünstler hatte ich bislang nicht mehr und auch unter allen Küken, die Pablo mit seinen diversen Lebenspartnerinnen aufgezogen hatte, befand sich nur der einzigartige Houdini. Das linke Bild mit dem gefesselten Zwerg auf dem Rücken ist alles andere als optimal abgelichtet, aber das bebilderte Geschreibsel soll hier auch keinen Crashkurs für Wellensittich-Orthopädie darstellen oder den Gang zum Tierarzt ersetzen. In solch einem Fall ist es wirklich wichtig einen Fachmann aufzusuchen, welcher den Knödel sachgerecht versorgen kann. Spielereien durch ungeübte Fesselspiele können nämlich ganz böse ins Auge gehen und zum Absterben von Extremitäten führen. Leider wird allzu häufig aus Erfahrungsmangel bei den betroffenen Küken gar nichts gemacht und abgewartet, ob sich die krummen Haxen der kleinen Küken nicht doch noch von alleine geben. Aussitzen ist hierbei aber leider die falsche Taktik. Hilft man den Knirpsen in dieser misslichen Situation nicht, dann ist das je nach Ausprägung der Spreizbeine häufig deren Todesurteil.


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Als ich ihm das Handwerk gelegt hatte, musste Houdini nur noch lernen mit seinem Verband umzugehen, der seine Füßchen in der richtigen Position hielt. Trotz Bandage war er ein sehr aktives Küken und wollte immer alles untersuchen ... noch vor seinen Geschwistern, die es mit ihren freien Füßchen selbstverständlich wesentlich einfacher hatten. Die Geduld hat sich für alle Seiten ausgezahlt. Der blaue Knödel konnte sich nach der Abnahme seiner Fußfessel bewegen und greifen wie seine Geschwister auch.


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Schluss mit dem faulen Zauber. Da die Entfesselungskünste nun passé waren und seine Dienste nicht mehr benötigt wurden, musste der gefiederte Zauberlehrling umschulen und sich ein anderes Tätigkeitsfeld aussuchen, z.B. den Herrn Züchter benagen und sich für die gemeine Folter bedanken. Gern geschehen, kleiner Mann.


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